Stell dir vor, es ist Digitalisierung, und keiner geht hin. Na ja, ganz so schlimm ist es wirklich nicht im deutschen Mittelstand. Doch zu denken gibt einem schon, was die Unternehmerumfrage 2015/2016 des Bundesverbandes mittelständischer Wirtschaft (BVMW) ans Tageslicht bringt. Der Aussage „Durch die Digitalisierung wird mein Unternehmen in den nächsten Jahren neue Geschäftsmodelle entwickeln” stimmt nur die Hälfte der befragten Unternehmer ganz oder eher zu, die andere Hälfte ist indifferent oder stimmt gar nicht zu.
Schlimmer ist allerdings, dass in einer weiteren Frage wiederum nur die Hälfte überhaupt einen positiven Effekt der Digitalisierung auf ihr Unternehmen sieht. 10 % sehen die Auswirkungen negativ und erstaunliche 40 % glauben, dass die Digitalisierung ihren Betrieb überhaupt nicht beeinflussen wird. Motto: Wir machen einfach weiter wie bisher. Da sei doch, mit Verlaub, die Frage gestattet, in welcher Welt diese Unternehmer leben.
Außer ein wenig fachmännischer Empörung bringt uns diese Erkenntnis nicht wirklich weiter, weshalb wir uns in diesem Artikel auf eine zweite Befragung konzentrieren wollen, die neben dem Stand der Digitalisierung im Mittelstand auch ein paar (eigentlich logische, aber trotzdem) hilfreiche Erkenntnisse aufzeigt. Gemeint ist das 21. Mittelstandpanel vom Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) und PricewaterhouseCoopers (PwC), von dem Sie hier eine Zusammenfassung finden.
Aus dieser Zusammenfassung zitiere und kommentiere ich einige Highlights aus meiner Sicht:
Digitalisierung ist nicht (nur) eine Sache der Unternehmensgröße: Natürlich sind größere Unternehmen tendenziell stärker digitalisiert als kleinere. Große Investitionen in Infrastruktur oder Software rechnen sich nun mal mehr, wenn ich die Kosten auf viele Mitarbeiter verteilen kann. Und je komplexer und länger die Prozesse sind, desto höher ist der Effizienzgewinn durch Digitalisierung. Aber das heißt nicht, dass kleinere Unternehmen mit kleineren Budgets bei der Digitalisierung nur zuschauen müssen. Das Mittelstandpanel zeigt, dass 'Unternehmen mit 100 und mehr Beschäftigten stärker innerhalb des Unternehmens vernetzt sind, während kleinere Unternehmen vorrangig Partnerschaften mit Kunden, Lieferanten oder anderen externen Kooperationspartnern anstreben.' Wer's allein nicht schafft, sucht sich eben Partner. Digitalisierung ist überhaupt sehr förderlich für die Zusammenarbeit, wie auch der nächste Punkt zeigt.
Digitalisierung fördert Kooperation und Innovation: Stark digitalisierte Unternehmen messen Partnerschaften einen merklich höheren Stellenwert bei als andere Unternehmen. 'Für sie ist die Zusammenarbeit mit Partnern, die nicht Teil der eigenen Wertschöpfungskette sind (z. B. IT-Softwareanbieter oder branchenfremde Unternehmen), aber auch mit Hochschulen bzw. Forschungseinrichtungen oder digitalen Start-ups deutlich wichtiger.' Wenn unterschiedlichste Bereiche zusammenarbeiten und ihr Wissen teilen, entstehen die besten Ideen. Digitale Vernetzung ist also ein echter Innovationsturbo und nützt uns weit über die reine Effizienzsteigerung hinaus.
Digitalisierung muss Chefsache sein: 'Je höher der Digitalisierungsgrad, desto größer ist der Anteil der Unternehmen, bei denen dieses Ziel auch in der strategischen Ausrichtung verankert ist.' Wenn Digitalisierung nur das ist, was die IT-Abteilung macht, ist sie zum Scheitern verurteilt. Ohne ganzheitliche Strategie und ohne genügend Verständnis bei den Entscheidern wird sie nie über das Stadium 'Lass uns da mal eine Software installieren' hinauskommen. Kein Wunder, dass der Chief Digital Officer (CDO) bisher in zwar noch wenige, aber immer mehr Vorstandsetagen einzieht. Aufgabe der Unternehmensführung ist es auch, eine Vision zu zeichnen, die den Mitarbeitern die Chancen der Vernetzung und Automatisierung näherbringt, statt sie mit ihren Ängsten, dass ihre Arbeit bald von Computern erledigt wird, allein zu lassen.
Digitalisierung macht süchtig: Je stärker ein Unternehmen schon in die Digitalisierung investiert hat, desto höher ist die Bereitschaft, weiter Geld dafür auszugeben. 'So planen sechs von zehn Unternehmen, die bereits 2014 in Digitalisierung investierten, noch mehr Finanzmittel hierfür in den kommenden fünf Jahren zu verwenden.' Ob geheimnisvolle Glückshormone dahinterstecken oder heimlich suchterregende Substanzen in Programmcodes versteckt werden – wer weiß. Fakt ist jedoch, dass uns die Digitalisierung offensichtlich deutlich weiterbringt. Wer erste kleine Erfolge erlebt und seine anfänglichen Vorbehalte überwunden hat, will weitermachen.
Produktionsprozesse sind noch relativ wenig digitalisiert: Jeder kennt den Begriff Industrie 4.0, aber gleichzeitig sind wir uns bewusst, dass momentan noch viel Hype und relativ wenig Praxis darin steckt. Die Digitalisierung der Produktionsprozesse steht in den meisten Branchen noch ganz am Anfang, im Internet der Dinge vernetzte Maschinen sind noch nicht wirklich Alltag. Der Bereich ist komplex, deshalb werden in den nächsten Jahren 'Investitionen vorrangig in die weitere Digitalisierung des Vertriebs und Absatzes fließen: Mehr als die Hälfte der Unternehmen, die im vergangenen Jahr in die Digitalisierung investiert haben, planen, ihr Engagement in diesem Bereich auszuweiten.' Online-Shops, CRM-, Marketing- oder Procurement-Lösungen – das ist bekanntes Terrain und solange es da noch Potenzial gibt, sollte man das auch nutzen. Heißt aber gleichzeitig auch: andere Themen im Auge behalten und erste Erfahrungen sammeln, damit man nicht irgendwann vom Markt überrollt wird.
Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung werden unser Art zu arbeiten umkrempeln, so viel ist sicher, auch wenn das in Teilen noch nicht ganz angekommen ist. Die beschriebenen Ergebnisse machen Mut, wie ich finde. Sie sagen uns: Packen wir das Thema an. Es gibt keine echten Hinderungsgründe, sein Unternehmen Schritt für Schritt zu digitalisieren. Und wer erstmal damit anfängt, wird ziemlich schnell sehen, was er davon hat – und das Thema oben auf die Agenda setzen. Dorthin, wo es hingehört.
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