Die Digitalisierung ihres Business ist für Unternehmen überlebenswichtig, um nicht vom Wettbewerb überrollt zu werden. Wie schaffen sie das? Anhand eines verständlichen Drei-Phasen-Modells erklären wir Ihnen, wie Sie Ihr Produkt Schritt für Schritt in eine digitale Plattform verwandeln.
Effiziente Prozesse und technisch immer bessere Produkte allein sind für ein Unternehmen nicht ausreichend, um nachhaltig erfolgreich zu sein. Das haben wir im ersten Artikel dieser Serie anhand vieler Beispiele festgestellt. Neue digitale Geschäftsmodelle können ganze Branchen innerhalb von Jahren überflüssig machen. Unternehmen müssen deshalb ihre etablierten, erfolgreichen Geschäftsmodelle selbst infrage stellen, bevor es andere tun. Sie müssen eigene, digitale Geschäftsmodelle entwickeln und erproben, bevor es andere tun.
Für ein traditionelles produzierendes Unternehmen aus dem Mittelstand bedeutet die Digitalisierung auf den ersten Blick eine riesige Herausforderung. Es stellt mit stampfenden Maschinen physische Produkte her, die pro Stück verkauft und auf Lastwagen zum Kunden gefahren werden müssen. Im Mittelpunkt steht das Produkt, alle Services sind nur eine Ergänzung. Ein digitales Geschäftsmodell scheint in einem solchen Umfeld komplett unrealistisch zu sein. Wo fängt man an, ohne sich zu verzetteln und seine Kernkompetenz aufzugeben?
Bei der Entwicklung eines digitalen Geschäftsmodells geht es im Prinzip darum, ein Produkt in eine Dienstleistung zu transformieren. Im einfachsten Fall könnte das so aussehen, dass der Kunde nicht mehr für das Produkt bezahlt, sondern für das Ergebnis, das er mit einem Produkt erzielt: eine bestimmte Menge an Output oder die Lösung eines Problems.
Einige traditionelle Hersteller sind bereits diesen Weg gegangen:
Rolls-Royce verkauft keine Triebwerke mehr, sondern stellt Airlines garantierte Flugstunden zur Verfügung.
Ein Kompressorenhersteller hat sein Geschäftsmodell vom Geräteverkauf auf die Abrechnung nach Volumen geändert.
innogy lässt seine Kunden nicht mehr für einzelne Windkraftanlagen bezahlen, sondern für den mit Windkraft erwirtschafteten Ertrag.
Zwar stellen diese Unternehmen nach wie vor die gleichen Produkte her, doch stehen diese nicht mehr im Zentrum des Geschäftsmodells. Digitalisierung bedeutet, dass physische Produkte nur noch Hilfsmittel sind, um ein Ziel zu erreichen oder ein Kundenproblem zu adressieren.
Um ein Geschäftsmodell ähnlich den genannten Beispielen zu realisieren, braucht es drei technologische Bausteine:
Sie müssen Nutzungsdaten Ihrer Produkte erfassen können – zur Abrechnung, als Information für den Nutzer, aber auch zur Analyse und Optimierung Ihrer Services.
Sie müssen Ihren Kunden Dienstleistungen digital über Smartphones oder andere Endgeräte zur Verfügung stellen können, zum Beispiel die Abrechnung oder die Möglichkeit, eine Fehlfunktion zu melden.
Sie brauchen eine zentrale Plattform, über die alle Prozesse und Services automatisiert abgewickelt werden können.
Auf diese Bestandteile heruntergebrochen, erscheint die Idee eines digitalen Geschäftsmodells gleich weniger furchteinflößend. Auch der Weg dorthin wird wesentlich übersichtlicher: Sie müssen nur von Schritt zu Schritt denken. In drei Phasen gelangen Sie vom physischen Produkt zur digitalen Plattform beziehungsweise zur digitalen Dienstleistung (die Phasen gehen in der Realität natürlich ineinander über). Wir erklären Ihnen anhand zweier einfacher Beispiele – einer Uhr und eines Gabelstaplers –, was die einzelnen Phasen bedeuten.
In der ersten Phase statten Sie Ihr Produkt mit einer digitalen Funktion aus, zum Beispiel mit Sensoren zur Datenerfassung oder einer digitalen Benutzeroberfläche. In diesem Stadium kann die Funktion nur vom Nutzer selbst verwendet werden.
Uhr: Sie verbauen Sensoren in der Uhr, einen GPS-Tracker, einen Schrittzähler und einen Pulsmesser für das Handgelenk. Darüber werden die zurückgelegte Strecke des Uhrträgers, die Anzahl seiner Schritte und seine Herzfrequenz erfasst.
Gabelstapler: Über Sensoren messen Sie die Fahrstrecke des Gabelstaplers, die Anzahl der Hubbewegungen, Motordaten und den Stand der Akkuladung. Ein Diagnoseprogramm erkennt Fehlfunktionen und gibt Empfehlungen zur Behebung.
Die zweite Phase beinhaltet den Aufbau einer Hard- und Software-Infrastruktur, um Ihre Produkte mit Ihrem System und eventuell auch untereinander zu vernetzen. Im Regelfall nutzen Sie dafür eine Cloud-Umgebung. Sie erfassen Daten zentral und bieten Nutzern Zugriff auf zusätzliche Auswertungen und Funktionen.
Uhr: Die Uhrträger können sich online oder per App in Ihrem persönlichen Konto einloggen und Auswertungen ihres Bewegungsverhaltens sowie Vergleiche mit anderen einsehen. Sie können sich Ziele setzen, zum Beispiel eine bestimmte Anzahl von Schritten pro Tag, und werden benachrichtigt, wenn sie diese Ziele erreicht oder nicht erreicht haben.
Gabelstapler: Ein Logistikunternehmen kann sich Auswertungen seiner kompletten Gabelstaplerflotte ansehen, zum Beispiel zu Stromkosten oder zur täglichen Auslastung der Fahrzeuge. Es wird automatisch benachrichtigt, wenn Wartungsintervalle anstehen, und kann Fehler per Fernwartung durch einen Servicetechniker beheben lassen.
Mit den erfassten Daten können Sie das Nutzerverhalten Ihrer Kunden analysieren und Ihre Produkte auf dieser Basis optimieren. Sie können Ihre Kunden miteinander in Kontakt treten lassen und ihnen Zugriff auf (anonymisierte) Datenauswertungen anderer Kunden geben.
Zwar haben Sie in Phase 2 schon alle Voraussetzungen für eine Plattform geschaffen – vernetzte Produkte und Infrastruktur –, doch ist Ihr System immer noch an ein spezielles Produkt oder eine Produktgruppe geknüpft. Es bietet jetzt lediglich Zusatzfunktionen. Erst indem Sie weitere Dienstleistungen über Ihr System anbieten, erschaffen Sie eine Plattform.
Sie können zunächst kostenlose Dienstleistungen anbieten, um den Verkauf Ihrer physischen Produkte zu fördern. Langfristig sollten Sie allerdings bestrebt sein, bezahlte Dienstleistungen anzubieten, um sich neue Geschäftsmodelle zu erschließen. Auch eine indirekte Finanzierung über Werbeeinnahmen oder die Monetarisierung von Nutzerdaten ist denkbar.
Uhr: Sie bieten ein persönliches Trainingsprogramm für die Uhrträger an. Auf der Basis von Bewegungsdaten und Vitalwerten bekommt der Nutzer täglich automatisierte Empfehlungen für Fitnessübungen. Oder Sie ergänzen die Uhr um einen Navigationsdienst oder zeigen interessante Angebote nahe gelegener Restaurants an.
Gabelstapler: Statt Kauf oder Leasing von Gabelstaplern bieten Sie Kunden ein nutzungsbasiertes Abrechnungsmodell auf der Basis der gefahrenen Kilometer oder der Akkuladungen. Sie können das komplette Flottenmanagement als Service anbieten. Wenn Stapler Fehlfunktionen melden oder in Spitzenzeiten zu wenig Stapler bereitstehen, können Sie rechtzeitig für zusätzliche oder Austauschfahrzeuge sorgen.
Aber reden wir hier nicht einfach von einem anderen Geschäftsmodell, von einem digitalen Geschäftsmodell statt eines physikalischen? Wo liegt der Vorteil? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir nochmals zum Ausgangspunkt dieses Artikels zurück. Wir sprachen von der realen Gefahr, dass komplette Unternehmen oder sogar Branchen durch neue Geschäftsmodelle obsolet gemacht werden können, weil bestimmte Produkte plötzlich nicht mehr nötig sind. Wenn Sie nicht gerade Lebensmittel herstellen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es Ihr Produkt in 5, 15 oder 50 Jahren nicht mehr geben wird. Mit einem rein produktbasierten Geschäftsmodell sind Sie leicht angreifbar.
Mit einer Dienstleistungsplattform machen Sie sich unabhängig von einem Produkt oder einer Produktgruppe. Sie bedienen das Bedürfnis einer Zielgruppe, zum Beispiel Gesundheit, Mobilität oder effektiven Ressourceneinsatz. Solche Bedürfnisse bleiben dauerhaft bestehen. Nur die Art, mit der sie befriedigt werden, kann sich schnell ändern. Mit einer Plattform können Sie auf solche Veränderungen reagieren.
Die meisten Plattformen bauen nach wie vor auf einer bestimmten Produktgruppe auf. Jedoch ist es mit einer flexiblen Infrastruktur relativ einfach, weitere Produkte in eine Plattform zu integrieren. Angenommen, in ein paar Jahren trägt niemand mehr eine Uhr. Der Uhrenhersteller aus unserem Beispiel würde schnell vom Markt verschwinden. Für seine Fitness- oder Navigationsplattform kann er dagegen genauso gut auf Smartphones setzen oder seine Sensoren in Sportschuhe und Outdoorjacken integrieren lassen.
Analog dazu könnte der Gabelstaplerhersteller seine Flottendienstleistungen auch für autonome Lagerroboter oder Lieferfahrzeuge anbieten, wenn Gabelstapler nicht mehr gebraucht werden. Selbst wenn sein komplettes Fahrzeuggeschäft wegbricht, könnte er seine Plattform an andere Hersteller lizenzieren oder sie sogar als offenes System anbieten und sich auf Beratungsleistungen für andere Hersteller spezialisieren. Ein krasses Beispiel, aber es zeigt die Anpassungsfähigkeit digitaler Geschäftsmodelle.
Ein tolles Beispiel für die Digitalisierung und eine Wandlung vom Produkt zur Plattform ist die Marke Nike. Obwohl der Sportartikelhersteller zu den Marktführern gehört, verordnete er sich einen radikalen Schnitt im Geschäftsmodell. Nike kürzte seine Marketingbudgets um 40 % (!) und entwickelte mit diesem Geld die Plattform Nike+. Im Browser oder per App können Nutzer Fotos und Erlebnisse teilen, sich Fitnessprogramme zusammenstellen lassen oder per Sensor im Schuh einen Laufpartner finden, der auch gerade unterwegs ist.
Zwar produziert und verkauft Nike Schuhe und Sportmode nach wie vor sehr erfolgreich, doch hat sich das Bild der Marke im Kopf der Kunden komplett gewandelt. Nike ist nicht mehr ein Schriftzug auf einem Schuh, sondern ein Trainingspartner, der mir hilft, meine Ziele zu erreichen. Übrigens ist Nike+ für Kunden aller Sportmarken offen. Dadurch erzielt Nike nicht nur eine vielfach höhere Reichweite, sondern erhält dadurch fast kostenlos wertvolle Einsichten über Trends und Käuferverhalten.
Zwar konnten wir mit dem Drei-Phasen-Modell die Entwicklung eines digitalen Geschäftsmodells ein Stück weit entzaubern. Das heißt jedoch nicht, dass die Digitalisierung und der damit einhergehende Wandel einfach wären. Denn die hohe Agilität der digitalen Welt stellt nicht nur besondere Anforderungen an die Technik. Auch die Denkweise der Unternehmen muss sich anpassen. Das ist nicht zuletzt für den Mittelstand eine Herausforderung, der – zu Recht – stolz auf seine Tradition und Erfahrung ist.
Eine neue Kultur lässt sich nicht von heute auf morgen schaffen. Dennoch gibt es Methoden und strategische Ansätze, mit denen Sie Innovation und Agilität gezielt fördern können. Solche Ansätze erleichtern die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle sehr. Im nächsten Artikel dieser Serie stellen wir einige davon vor.