Das InnovationCamp BW Silicon Valley bietet mittelständischen Unternehmen aus Baden-Württemberg die Möglichkeit, dem Spirit und den Methoden des innovativsten Standorts der Welt auf die Spur zu kommen. Als Innovation Scout für das Land Baden-Württemberg im Silicon Valley leitet Annika Hoeltje die Aktivitäten vor Ort. Wir haben sie zum Interview getroffen. Im ersten Teil erläutert sie die Ziele des InnovationCamp BW und geht auf die Erfolgsfaktoren des Silicon Valley ein.
Annika Hoeltje: Zum einen halte ich Ausschau nach neuen digitalen Technologien und Geschäftsmodellen, die im Silicon Valley entstehen, und gehe der Frage nach, welche Chancen und Herausforderungen sich daraus für baden-württembergische Unternehmen ergeben. Zudem untersuche ich, inwieweit Innovationsmethoden, die im Silicon Valley erfolgreich erprobt wurden, für Baden-Württemberg relevant sind. Diese Erkenntnisse präsentiere ich im InnovationCamp Blog und auf verschiedenen Events.
Zum anderen organisiere ich das InnovationCamp BW im Silicon Valley. Das Prinzip: Baden-württembergische Mittelständler sind für drei Wochen
im Silicon Valley zu Gast, um konkrete Fragestellungen mit Blick auf die Digitalisierung sowie neue Geschäftsmodelle und Produkte zu bearbeiten. Vor Ort werden sie von unserem InnovationCamp-Team sowie von namhaften Experten und Mentoren unterstützt. Das können Start-up- oder Unternehmensgründer, lokale Venture Capitalists oder Hochschulprofessoren sein. Es geht darum, die im Silicon Valley angewendeten Methoden in der baden-württembergischen Wirtschaft zu verankern und neue Technologien für sich nutzbar machen.
Annika Hoeltje: Die Teilnehmer können erfolgserprobte Innovationsmethoden lernen, ausprobieren und ihre Anwendbarkeit auf das jeweilige Unternehmen prüfen. Wir verschaffen ihnen einen anderen Blick auf das eigene Geschäft in der globalisierten und digitalisierten Welt. Muss ich mich neu positionieren, um dauerhaft erfolgreich zu sein? Welche innovativen Produkte und Serviceleistungen können mein Portfolio sinnvoll ergänzen?
Gleichzeitig geben wir den Teilnehmern die passenden Werkzeuge an die Hand, um ihre Ideen hinsichtlich Bedarf und Machbarkeit zu validieren. Wie interviewe ich potenzielle Kunden richtig? Wie erstelle ich ein Minimal Viable Product, also ein Produkt, das zunächst nur die Mindestanforderungen erfüllt, um die wichtigsten Hypothesen zum Kundenmehrwert zu testen? Wie ermittle ich, ob es für meine Idee einen Product-Market-Fit gibt? Mit den richtigen Techniken finden die Teilnehmer Antworten auf diese Fragen.
Das InnovationCamp ist aber auch eine Plattform für das Networking. Wir organisieren bereits im Vorfeld Termine mit potenziellen Kunden, Geschäfts- und Technologiepartnern im Silicon Valley. So kommen die Teilnehmer mit ausgewiesenen Branchenexperten ins Gespräch und können die Inhalte passgenau für das eigene Business nutzen.
Annika Hoeltje: Seit dem Auftakt 2018 hat das Programm inzwischen viermal stattgefunden. Das Feedback der Teilnehmer ist äußerst positiv. Einige Unternehmen haben in veränderter Besetzung bereits zum zweiten Mal teilgenommen oder sich ein weiteres Mal angemeldet. Viele Geschäftsführer schätzen insbesondere, dass sie sich – losgelöst vom Tagesgeschäft – zwei bis drei Wochen lang intensiv damit beschäftigen können, wie ihr Unternehmen in zehn Jahren aussieht. Denn eines ist klar: Um Out-of-the-box-Ideen zu entwickeln, muss man auch wirklich raus aus der Box.
Annika Hoeltje: Den Tatendrang, die Begeisterungsfähigkeit und die Experimentierfreude der Menschen finde ich beeindruckend. Sie sind Feuer und Flamme für ihre Vision und arbeiten zielstrebig darauf hin. Bei neuen Entwicklungen sehen sie eher die Chancen als die Risiken. Die Menschen sind sehr kommunikativ, neugierig und tauschen sich gerne aus. Mit solchen Leuten zusammenzuarbeiten, macht mir großen Spaß. Außerdem schätze ich die enorme Interkulturalität: Die klügsten Köpfe aus der ganzen Welt kommen im Silicon Valley zusammen, um gemeinsam ihre Visionen zu verwirklichen.
Annika Hoeltje: Ich fasse die Mentalität gerne so zusammen: Learning, Sharing, Doing. Learning bedeutet, dass die Leute wissbegierig und vollkommen darauf fokussiert sind, möglichst viele Details über die Probleme der Kunden zu erfahren. Sharing bezieht sich auf die Frage, wie ich diese Probleme nicht allein, sondern gemeinsam mit anderen lösen kann. Networking spielt hier eine wichtige Rolle, man tauscht sich intensiv mit Start-ups, Unternehmen, Universitäten oder weiteren Partnern aus, um Einschätzungen aus verschiedenen Perspektiven zu bekommen. Doing meint, dass Ideen schnell umgesetzt und Dinge einfach einmal ausprobiert werden. Da erst im kleinen Rahmen getestet wird, ist das Risiko meist begrenzt.
Annika Hoeltje: Neben dem radikalen Fokus auf den Kundennutzen spielt die Geschwindigkeit, mit der Ideen umgesetzt werden, eine wesentliche Rolle. Die Menschen sind offen für Neues. Amerikaner haben am Anfang meist nur eine Vision und einen Prototyp, den sie testen und weiterentwickeln. Wenn etwas nicht klappt, machen sie einen Pivot, einen Richtungswechsel. So tasten sie sich Schritt für Schritt heran, aus ihrer Vision Realität zu machen. Die Deutschen hingegen brüten lange über einem Plan, bis sie sich damit an die Kunden wenden. Sie suchen häufig schon im Vorfeld nach Gründen, warum etwas nicht klappen wird.
Scheitern gilt in Deutschland als etwas Negatives. Im Silicon Valley sind sich die Menschen darüber im Klaren, dass neun von zehn Ideen sich nicht durchsetzen werden. Obwohl die Erfolgswahrscheinlichkeit gering ist, versuchen sie es trotzdem. Das Risiko zu scheitern grenzen sie ein, indem sie mit möglichst vielen potenziellen Kunden sprechen, bevor sie Geld in Entwicklung, Marketing und Sales investieren. Ein amerikanischer Mentor des InnovationCamps gibt immer die Devise aus: „Sei ein Schwamm und kein Schwätzer.“ Er meint damit, dass es bei den Kundeninterviews nicht um das eigene Produkt, sondern ausschließlich um die Probleme der Anwender gehen soll. Wer so viele Informationen wie möglich aufsaugt und so wenig wie möglich von sich selbst erzählt, erhöht die Chance auf einen Product-Market-Fit. Am Ende soll der Kunde genau das Produkt bekommen, das er braucht.